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Welche Eigenschaften, Strukturbildungen und Entwicklungstendenzen früher graphischer Äusserungen lassen sich beobachten und bezeichnen? Gesetzt, sie werden
Die konkrete Fragestellung bezieht sich derart auf die bildhaften Merkmale, ihre gegenseitigen Beziehungen sowie die zeitliche Abfolge von Merkmalen und ihren Verhältnissen in frühen Zeichnungen und Malereien von Kindern.
Der Ausdruck «zeichnerisch» bezeichnet im vorliegenden Kontext Aspekte von Formen, ihren Variationen sowie ihren Anordnungen, welche häufig mit einem Stiftauftrag in Verbindung gebracht werden und für welche häufig Linien oder Umrisse oder Entsprechendes im Vordergrund stehen; allerdings können zeichnerische Aspekte auch mit anderen Instrumenten als Stiften, etwa mit Pinseln, erzeugt werden.
Der Ausdruck «malerisch» bezeichnet im vorliegenden Kontext Aspekte der Farbwirkung und des entsprechenden Einsatzes von Farbe, welche häufig mit einem Pinselauftrag in Verbindung gebracht werden und für welche häufig farbige Flächen und ihre Wirkung als solche sowie Farbverhältnisse im Vordergrund stehen; allerdings können malerische Aspekte auch mit anderen Instrumenten als Pinseln, etwa mit Stiften, erzeugt werden.
In der Literatur wird der Ausdruck «Kinderzeichnung» («dessin d’enfant», «children’s drawing») häufig als Oberbegriff für beide Arten von Bildern verwendet. Diese Art des sprachlichen Ausdrucks wird hier vermieden, und Bilder werden allgemein als graphische Äusserungen bezeichnet.
Dass nicht alle möglichen Arten graphischer Erzeugnisse in die vorliegende Untersuchung mit einbezogen wurden, sondern nur solche, welche mittels Stift oder Pinsel auf Papier entstanden, hat nur pragmatischen Grund. Es muss deshalb offenbleiben, ob die unten aufgeführten und erläuterten Erscheinungen nur für frühe Zeichnungen und Malereien oder aber in allgemeinerem Sinne auch für andere Arten zweidimensionaler Äusserungen gelten.
Die erste der drei nachfolgenden Zusammenstellungen von Bildern illustriert ausgeprägte Zeichnungen: Z2-1-02-A = 2569+12313+15232+3221
Die zweite Zusammenstellung von Bildern illustriert ausgeprägte Malereien: Z2-1-02-B = 5606+3172+8722+340
Die dritte Zusammenstellung von Bildern stellt Beispiele vor, in welchen zeichnerische und malerische Aspekte gleichzeitig und häufig aufeinander bezogen auftreten: Z2-1-02-C = 8817+311+348+430
Der Ausdruck «morphologisch» meint üblicherweise «die Form betreffend» und «Morphologie» entsprechend «Formenlehre». Für graphische Äusserungen wird hier aber der Ausdruck in einem erweiterten Sinne verwendet, welcher das Formale, die rein graphische Erscheinung als solche, übersteigt und zusätzliche Beziehungen mit einschliesst. Zum Bereich des Morphologischen werden gezählt:
Eine Untersuchung rein formaler Aspekte ohne Beurteilung möglicher Beziehungen zu Nicht-Graphischem und ohne Beibezug von Kommentaren würde wahrscheinlich gewichtige Beobachtungen und Aussagen ausser Betracht lassen, auch solche, welche sich auf rein formale Aspekte selbst beziehen. Dennoch bleibt der Ausdruck «Morphologie» als Bezeichnung der Untersuchungsperspektive in Zukunft zu überprüfen und allenfalls zu ersetzen.
Im Hinblick auf frühe graphische Äusserungen lassen sich insbesondere zwei verschiedene Untersuchungsperspektiven unterscheiden, eine dokumentarische und eine experimentelle. Die Erstere bezieht sich nur auf Äusserungen, welche unabhängig von einer konkreten Untersuchung entstanden und also von ihr nicht beeinflusst werden konnten; die Letztere bezieht sich umgekehrt auf Äusserungen, welche in einer solchen Abhängigkeit entstanden oder entstehen. Die vorliegende Darstellung bezieht sich auf die erste der beiden Perspektiven.
Die Kinder, von welchen die untersuchten Zeichnungen und Malereien stammen, werden als «Autorinnen» oder «Autoren» der Bilder bezeichnet.
Als «Bildkommentar» gilt jede schriftliche Information zu einem einzelnen Bild, welche entweder auf ihm selbst vorgefunden wurde (mit eingeschlossen die Rückseite) oder welche in irgendeiner Form der jeweiligen Originalsammlung von Bildern beiliegt und dem betreffenden einzelnen Bild zugeordnet werden kann. Solche schriftlichen Informationen beziehen sowohl Überlieferungen von Aussagen der Autorinnen und Autoren wie auch Erläuterungen von Drittpersonen (häufig Eltern) mit ein, mit sehr verschiedenem Grad der Verlässlichkeit. (Insbesondere ist für einen Teil der Kommentare nicht immer deutlich, woher sie stammen und wie genau sie wiedergegeben sind.) Ausgenommen bleiben von den Autorinnen oder Autoren geschriebene Buchstaben oder Wörter, welche über sie hinaus nichts Zusätzliches am Bild bezeichnen.
Die nachfolgende Zusammenstellung von Bildern illustriert solche Bildkommentare: Z2-1-02-D = 3+22900+24427+5586
Die Untersuchung von graphischen Äusserungen kann in zwei Arten unterteilt werden, in Längs- und Querschnittunterstudien. Erstere beziehen sich auf die Beschreibung von Eigenschaften, Strukturbildungen und Entwicklungstendenzen von Äusserungen einer einzelnen Autorin oder eines einzelnen Autors, Letztere auf den Vergleich solcher Eigenschaften und Entwicklungstendenzen von Äusserungen vieler verschiedener Autorinnen und Autoren.
Anhand von Längsschnittstudien können insbesondere konkrete Verhältnisbildungen von Bildmerkmalen und differenzierte Entwicklungsverläufe beschrieben werden. Anhand von Querschnittstudien können insbesondere der Bereich oder «Horizont» möglicher früher graphischer Äusserungen sowie allgemeine Entwicklungstendenzen beschrieben werden. Die beiden Perspektiven relativieren und ergänzen sich gleichzeitig und lassen zudem eine Bandbreite der Variation der Entwicklung formulieren. Die vorliegende Darstellung bezieht denn auch beide Arten der Untersuchung mit ein.
Für die Untersuchung früher graphischer Äusserungen müssen pathologische Aspekte, welche einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Autorin oder des Autors im Allgemeinen und damit auch auf die Entstehung und Entwicklung von Zeichnung und Malerei interpretieren lassen, besonders bedacht werden. Bei der Erhebung von Standardinformationen der Autorinnen und Autoren muss deshalb abgeklärt werden, ob medizinische Diagnosen vorliegen, welche auf einen solchen Einfluss hinweisen. Für die hier zu Grunde liegende Untersuchung wurden solche Abklärungen vorgenommen (Einzelheiten siehe Band 3) und die entsprechenden Bildersammlungen als «Kontraststudien» bezeichnet. Letztere wurden weder in die Längs- noch in die Querschnittstudien mit einbezogen.
Alle Zeichnungen und Malereien stammen von Kindern, deren Wohnort zur Zeit der Entstehung der Bilder in einem der drei Länder Schweiz, Frankreich und Deutschland lag. Alle Kinder wurden nach 1945 geboren.
Die untere Altersgrenze bilden die ersten vorfindbaren zeichnerischen und malerischen Äusserungen auf Papier.
Die obere Altersgrenze bilden Äusserungen, welche gemäss einem «analogen Bildschema» aufgebaut sind. Dieses Schema entsteht, wenn
Die gegenseitige Beziehung einzelner Abbildungen oder abbildender Teile zueinander wird in der Literatur häufig dem Bereich der topologischen Anordnung (nebeneinander, übereinander, ineinander und Entsprechendes) zugeordnet. Die Tendenz, eine einheitliche Ordnung für die räumliche Darstellung gemäss oben-unten und links-rechts für alles Dargestellte in einem Bild zu befolgen und dabei die Blattkanten mit einzubeziehen, wird in der Literatur häufig dem Bereich der orthogonalen Anordnung oder Darstellungsweise zugeordnet (vgl. dazu Reiss, 1996, S. 108ff.).
Die obere Grenze wurde also nicht in der Form einer numerischen Altersangabe, sondern einem bestimmten Bildtypus entsprechend festgelegt. Es ist zu erwarten, dass der Variationsgrad von Formen, Motiven, Strukturen und ästhetischen Stilen bei Kindern gleichen Alters sich als sehr gross erweist und eine numerische Altersgrenze deshalb unangebracht wäre.
Die hier erläuterte Festlegung einer Bereichsgrenze entspricht zwar vielen ähnlichen Festlegungen in der Literatur, ist aber dennoch mit grosser Vorsicht aufzunehmen, aus verschiedenen Gründen:
Die Festlegung hat denn auch im vorliegenden Kontext rein pragmatischen Wert. Das «analoge Bildschema» entspricht einem Bildtypus, von dem vermutet werden kann, dass er sehr häufig vorkommt, einfach beschreibbar ist und den gesamten Entwicklungsverlauf früher ungegenständlicher Zeichnungen und Malereien bis zum Entstehen abbildhafter Darstellungen umfasst.
Zur Illustration der Festlegung des untersuchten Altersbereichs und dem dabei mit zu bedenkenden Kontext von bildhaften Merkmalen sollen die nachfolgenden Zusammenstellungen von Bildern dienen.
Die erste Zusammenstellung illustriert sehr frühe graphische Äusserungen auf Papier: Z2-1-02-E =5588+8467+13808+33270
Die zweite Zusammenstellung stellt Beispiele für das «analoge Bildschema» vor: Z2-1-02-F = 15292+32761+31850+32474
Die dritte Zusammenstellung illustriert andere Arten der «gegenstandsanalogen» Gesamtorganisation: Z2-1-02-G = 360+9450+41792+41794
Die letzte Zusammenstellung illustriert nicht-analoge Gesamtorganisationen: Z2-1-02-H =16206+15505+15286+20961