Europa
Als Einzelformen mit differenzierter Linienführung gelten solche Elemente, für deren Bestehen eine Führung und Differenzierung der Linie selbst notwendig sind und welche in einem Zug gezeichnet werden können. (Ausnahme bildet die Linie mit Unterbrechungen, weil das Unterbrechen selbst als zur Form gehörig aufgefasst wird. So wird die Form dennoch «in einem Zug» intendiert und gezeichnet.)
Die Oberkategorie der Einzelformen mit differenzierter Linienführung wird in zwei in sich weiter gegliederte Unterkategorien unterteilt, entsprechend dem Aspekt, ob Anfang und Ende der Linie aufeinanderfallen:
Die Ausdrücke «offen» und «geschlossen» können zu Unklarheiten oder Missverständnissen Anlass geben. Eine geführte Linie, welche Überschneidungen aufweist, ohne dass aber Anfang und Ende als quasi-identisch interpretiert werden, entspricht einer offenen Einzelform. Für geschlossene Formen werden umgekehrt Anfang und Ende immer als quasi-identisch aufgefasst. (Ausnahmen bilden komplexe Überschneidungen, welche zu den Zusammensetzungen gezählt werden.)
Graphische Elemente, welche durch eine Führung der Linie selbst gekennzeichnet sind, ohne dass Anfang und Ende aufeinanderfallen, werden in sechs zum Teil in sich weiter gegliederte Unterkategorien unterteilt, entsprechend der Art der Linienführung. Ihnen ist eine unspezifische Unterkategorie beigefügt, um zusätzliche Erscheinungen mit einbeziehen zu können:
Wird eine allgemeine Führung der Linie selbst interpretiert, welche aber keine einzelne, deutliche und einheitliche Regel der Führung erkennen und benennen lässt, so werden die entsprechenden Abbilder als Freie Linienführung bezeichnet. – Eine bestimmte Ausdehnung der Linie wird für entsprechende Bildbeispiele vorausgesetzt. Sehr kurze, fragmentarisch geführte Linien werden der Kategorie Linienfragmente zugeordnet. – Freie Linienführungen können Überschneidungen mit einbeziehen.
Eine Linienführung mit erkennbarer quasi-gerader Ausrichtung wird als Quasi-Gerade bezeichnet. – Im Unterschied zum Strich wird hier die Linienführung als von der Idee des Geraden geprägt interpretiert und nicht als Abbild eines spontanen und in der Regel auslaufenden (vom Bewegungsvorgang direkt bestimmten) Ziehens oder Stossens von Stift oder Pinsel. – Auch für Quasi-Geraden wird eine bestimmte Ausdehnung der Linie vorausgesetzt. Sehr kurze Linien, welche als quasi-gerade interpretiert werden, zählen wiederum zur Kategorie der Linienfragmente.
Ein graphisches Abbild eines Farbauftrags, geprägt von der Idee eines «minimalen Auftrags», wird als Quasi-Punkt bezeichnet. Dies entspricht einem Farbauftrag mit der besonderen Eigenschaft, den Eindruck einer Linie oder einer Fläche möglichst zu vermeiden. – Die reale Ausdehnung der Quasi-Punkte ist dabei abhängig vom graphischen Kontext, in welchem sie erscheinen. (Bleistiftpunkte etwa verhalten sich zu Bleistiftgeraden anders als mit Pinsel aufgetragene Punkte zu entsprechenden Geraden). – Dass Punkte zu den geführten Linien zählen, mag unschön erscheinen, doch entspricht die Entwicklung vom Schlag zum Punkt der Entwicklung vom Strich zur Geraden. Zudem lässt sich das Nicht-Ziehen der Linie durchaus als eine Art der Führung der Linie verstehen, wenn auch in «negativem» Sinne. Die Kategorie der Quasi-Punkte sollte ursprünglich in den Untersuchungen wie alle anderen aufgeführten Kategorien angewandt werden. Doch der Versuch, in frühen Bildern Schläge von Punkten zu unterscheiden und entsprechend zuzuordnen, erwies sich als problematisch und für eine morphologische Studie ungeeignet. In der Folge wurden nur Schläge konkret zugeordnet. Die Kategorie der Quasi-Punkte erscheint deshalb im vorliegenden Merkmalkatalog ausschliesslich aus systematischen Gründen, zugeordnete Bilder hingegen fehlen. (Die Untersuchung des auftretenden Unterschieds von Schlägen von Punkten in der graphischen Entwicklung muss prozessorientierten Studien überlassen werden.)
Offene geführte und zugleich gegliederte Linien (drei Glieder im Minimum) werden auch als solche bezeichnet und dreifach weiter unterteilt. Zur ersten Unterkategorie zählen Zickzacklinien, Wellenlinien, Schleifenlinie und ihnen ähnliche Linienformen. Zur zweiten Unterkategorie zählen Linien mit Unterbrechungen, das heisst geführte Linien, welche in sich unterbrochen und dennoch als einheitliche interpretiert werden. (Solche Linien werden in der Umgangssprache häufig «gestrichelte Linien» genannt.) Zur dritten unspezifischen Kategorie zählen alle weiteren offenen gegliederten Linien.
Eine einzelne Linie mit erkennbarer spiralartiger Führung wird als Quasi-Spirale bezeichnet. – Für die Zuordnung zu dieser Kategorie wird eine vollständige «Umdrehung» vorausgesetzt. Mit eingeschlossen sind «9-artige» beziehungsweise «e-artige» Spiral-Formen.
In der Ausdehnung stark beschränkte andere differenzierte Linienführungen als die oben erwähnten werden als Linienfragmente bezeichnet. – Hierzu zählen insbesondere auch einzelne kleine Bögen, Haken, Winkel sowie sehr kurze strichartige oder gerade Linien.
Offene Linien, welche eine Führung erkennen lassen, aber nicht zu einer der aufgeführten Unterkategorien gezählt werden können, werden als Andere offene Einzelformen bezeichnet. Dazu zählen ebenfalls wie oben erläutert Bogen-, Haken- und Winkelformen, die sich aber durch ihre grössere Ausdehnung von den Linienfragmenten unterscheiden.
In Zusammenhang mit den Offenen Einzelformen ist die Hilfskategorie (Anteil Gerade) mit zu berücksichtigen. Sie bezieht sich auf Linienführungen, die deutliche quasi-gerade Anteile aufweisen.
Graphische Elemente, welche durch eine Führung der Linie selbst gekennzeichnet sind und für welche zudem ein Aufeinanderfallen von Anfang und Ende erkennbar ist, zählen zu den geschlossenen Einzelformen und werden in drei in sich weiter gegliederte Unterkategorien unterteilt, entsprechend dem Aspekt der jeweiligen Peripherie. Ihnen ist eine unspezifische Unterkategorie beigefügt, um zusätzliche Erscheinungen mit einbeziehen zu können:
Geschlossene Einzelformen mit geführter, ungekreuzter Linie und ausgeprägt runden wie eckigen Anteilen werden als Runde-eckige geschlossene Einzelformen bezeichnet. – Häufig entstehen die Ecken aus einem Versuch, Anfang und Ende einer runden Form aneinanderzufügen, wobei der Versuch nur in einer groben Annäherung gelingt. – Ausgenommen bleiben als Gebilde bezeichnete Formen (siehe Zusammensetzungen).
Runde-eckige geschlossene Einzelformen werden in sich unterteilt in Unspezifische, das heisst ohne erkennbare weitere Regel der Linienführung oder des Aneinanderfügens von Anfang und Ende, und in Andere, das heisst mit zusätzlicher Differenzierung der Linie selbst.
Geschlossene Einzelformen mit geführter, ungekreuzter Linie, für welche ausgeprägte eckige Anteile fehlen, werden als Runde geschlossene Einzelformen bezeichnet.
Runde geschlossene Einzelformen werden Unspezifische genannt, wenn für sie keine weitere Regel der Linienführung oder des Aneinanderfügens von Anfang und Ende erkennbar ist und also zusätzliche Formintentionen fehlen.
Quasi-Oval heisst eine Form, für welche die Idee eines Ovals interpretiert wird.
Quasi-Kreis heisst eine Form, für welche die Idee eines Kreises interpretiert wird.
Eine zusätzliche Kategorie dient zum Miteinbezug weiterer Beobachtungen von runden geschlossenen Einzelformen.
Geschlossene Einzelformen mit geführter, ungekreuzter Linie, für welche ausgeprägte runde Anteile fehlen, werden als Eckige geschlossene Einzelformen bezeichnet.
Eckige geschlossene Einzelformen werden Unspezifische genannt, wenn für sie keine weitere Regel der Linienführung oder des Aneinanderfügens von Anfang und Ende erkennbar ist und also zusätzliche Formintentionen fehlen.
Quasi-Trapez heisst eine Form, für welche die Idee eines Trapezes interpretiert wird.
Quasi-Rechteck heisst eine Form, für welche die Idee eines Rechtecks interpretiert wird.
Finden sich darüber hinaus Anzeichen der Intention eines Quadrats, so heisst die Form Quasi-Quadrat.
Quasi-Dreieck heisst eine Form, für welche die Idee eines Dreiecks interpretiert wird.
Quasi-Vieleck heisst eine Form, für welche die Idee eines quasi-regelmässigen Vielecks (quasi-identische Seitenlängen) interpretiert wird.
Eine zusätzliche Kategorie dient zum Miteinbezug weiterer Beobachtungen von eckigen geschlossenen Einzelformen.
Geschlossene Einzelformen, welche nicht zu einer der aufgeführten Kategorien gezählt werden können, werden als Andere geschlossene Einzelformen bezeichnet. – Hierzu zählen insbesondere auch Einzelformen mit geführter, gekreuzter Linie (beispielsweise «8-artige»). – Ausgenommen bleiben als Gebilde bezeichnete Formen (siehe Zusammensetzungen).
Alle oben erwähnten Formen werden als Geschlossene Einzelformen II mit Differenzierung der Linienführung bezeichnet, doch ist dabei Folgendes zu beachten: Einige der genannten Formen können auch anders als in einem Zug und ohne Absetzen gezeichnet werden, beispielsweise indem einzelne Linien in einer Art «Zusammensetzung» den Umriss bilden; und sie können auch anders als durch eine einzelne Linie, welche einen eindeutigen Umriss graphisch bestimmt, erscheinen. In diesem Sinne werden alle Arten von Umrissen – direkt gezeichnete oder indirekt erscheinende –, welche oben genannte Formen deutlich erkennen lassen, zur hier erläuterten Kategorie der Einzelformen II gezählt. – Ausnahmen bilden an eine bestehende Linie angesetzte Linienfragmente oder Andere offene Einzelformen, mit eingeschlossen die Offenen Rechtecke.
Schwierigkeiten in der Beurteilung bereiten Einzelformen, welche durch eine quasi-geometrische Unterteilung entstehen. So kann ein Rechteck beispielsweise mittels einer Diagonale in zwei Dreiecke unterteilt werden. In solchen Fällen werden je nach Interpretation Geometrische Gliederung, Strukturen, Muster, Mandalas oder Andere Zusammensetzungen klassifiziert.