Europa
Erstes Lebensjahr
Bereich des Graphischen: Ohne Formdifferenzierung
Auf Grund von Beobachtungen des zeichnerischen und malerischen Prozesses lässt sich feststellen, dass Kinder in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres mit Stiften oder Pinseln hantieren und dabei Spuren auf Papier hinterlassen. Entweder wird den entstehenden Spuren selbst keine Aufmerksamkeit geschenkt und sie entstehen vollständig zufällig auf dem Papier oder Stifte oder Pinsel werden zwar intentional auf das Papier hingeführt, aber es ist keine weiterführende Kontrolle der Bewegung zu erkennen. In diesem Sinne bilden Spuren ohne Formdifferenzierung auf Papier den Ausgang der graphischen Entwicklung. (In der Fachliteratur wird darauf hingewiesen, dass solchen Spuren auf Papier andere, dem Graphischen verwandte Tätigkeiten des Kindes vorausgehen, insbesondere Schmieren und Klecksen.)
Bereich der Verhältnisse zu Nicht-Graphischem: Keine rein morphologisch erkennbaren Erscheinungen
Im ersten Lebensjahr finden sich keine deutlichen Anzeichen für eine Beziehung der genannten Anfänge zu Nicht-Graphischem, welche nur anhand der fertigen Erzeugnisse erkannt werden können.
Ende erstes und Beginn zweites Lebensjahr (früheste Erscheinungen gemäss Querschnittstudie Monate 8 bis 13)
Bereich des Graphischen: Abbilder von Bewegungsformen mit grober Ausrichtung der Linie – Erste Variationen von Formattributen – Platzierungsmuster – Ein- und Mehrfarbige Bilder, mit Stiften erzeugt
Die erste zu beobachtende Ausdifferenzierung und damit Entwicklung des Graphischen bezieht sich auf Abbilder von Bewegungsformen mit grober Ausrichtung der Linie, auf eine erste Variation dieser Abbilder sowie auf Platzierungsmuster. Die Bilder sind mit Stiften erzeugt und sowohl ein- wie mehrfarbig.
Gegen Ende des ersten Lebensjahres können erste Abbilder von Bewegungsformen beobachtet werden: Abbilder von Pendelbewegungen, Striche, Schläge sowie andere, nicht einzeln kategorisierte Erscheinungen. Sie alle zeichnen sich dadurch aus, dass zwar die Art und allgemeine Ausrichtung des jeweiligen graphischen Bewegungsimpulses bestimmt ist und von anderen Arten unterschieden wird, nicht aber die Führung der Linie selbst.
Mit den ersten Abbildern verschiedener solcher graphischer Bewegungsformen erscheint die Variation ihrer Grösse oder Länge.
Mit den ersten Abbilder verschiedener solcher graphischer Bewegungsformen erscheinen auch Platzierungsmuster, deutliche Häufungen und Überlagerungen mehrerer einzelner Formen in einem bestimmten Bildbereich. Diese Platzierungsmuster sind allerdings schwer zu deuten. In einer morphologischen Untersuchung ist nicht zu klären, ob sie nur auf Grund der Position des zeichnenden Kindes zum Blatt entstehen oder aber einer Intention des Herstellens von Häufung und Leere auf dem Blatt entspringen.
Bereich der Verhältnisse zu Nicht-Graphischem: Keine häufig auftretenden Erscheinungen
Im ersten Lebensjahr finden sich keine deutlichen Anzeichen für eine Beziehung der ersten auftretenden Differenzierung graphischer Erscheinungen zu Nicht-Graphischem.
Zweites Lebensjahr (früheste Erscheinungen gemäss Querschnittstudie Monate 14 bis 18)
Bereich des Graphischen: Abbilder von Bewegungsformen mit grober Ausrichtung der Linie – Offene geführte Linien – Andeutungen von Zusammensetzungen – Variationen von Formattributen – Anordnungen von Formen zueinander – Farbigkeit – Materialität
Während des zweiten Lebensjahres treten zu den Abbildern von Bewegungsformen und den Variationen von Formeigenschaften mehrere neue Gruppen von Bildmerkmalen: Offene Formen, bei welchen die Linie selbst zunehmend als geführt erscheint, Andeutungen von Zusammensetzungen, Anordnungen von Formen zueinander, ein bestimmter Einsatz der Farben, ein bestimmter Einsatz der verwendeten Materialien.
Zu den vier bereits entwickelten Formen ohne Führung der Linie selbst erscheinen neu Abbilder von Bewegungsformen mit Richtungsänderungen sowie Abbilder von kreisenden Bewegungen.
Als erste deutliche Versuche, die Linie selbst einer Führung zu unterziehen, erscheinen längere «frei geführte» Linien, die auf dem Blatt «herumgezogen» oder «herumgeführt» werden, erste Gliederungen der Linie, als Zickzack-, Wellen- oder Schleifenlinien, spiralartige Linien, Linienfragmente sowie andere, nicht einzeln kategorisierte Arten früher Linienführungen. Die Längsschnittstudien verweisen zudem auf gerade Anteile solch «freier» Linienführungen.
Verbindungen, in welchen eine einzelne Form in eine andere «übergeführt» wird, und Vorformen von Mustern, als Andeutungen von Regelmässigkeiten und gleichzeitig Kontrastbildungen, treten in dieser Phase als erste vage Ansätze auf, aus einzelnen Formen übergeordnete Einheiten zu bilden.
Die Variationen von Formattributen werden im Laufe dieser Phase erweitert. So erscheinen einzelne Abbilder von Bewegungsformen verdichtet oder gedehnt beziehungsweise auseinandergezogen, oder sie erscheinen reduziert, eingeschränkt, gemindert oder aber erweitert, ausgedehnt.
Formen werden im Laufe dieser Phase der Entwicklung erstmals zueinander angeordnet: übereinander, gegenseitig ausgerichtet, gestreut, ungefähre rechte Winkel bildend sowie in anderen, nicht einzeln kategorisierten Setzungen von Formen zueinander.
Zwei verschiedene Arten, die Farbe einzusetzen, lassen sich zudem beobachten: Betonungen der Farbwirkung, häufig mit Hilfe von Verdichtungen und starkem Strich erzeugt, und ein Farbwechsel, für welchen eine Absicht der Wirkung im weitesten Sinne interpretiert werden kann.
Parallel zu dieser Farbigkeit können gemäss Längsschnittstudien und direkter Visionierung eine Variation der Strichstärke sowie erste mit Pinseln gemalte Bilder erscheinen.
Bereich der Verhältnisse zu Nicht-Graphischem: keine häufig auftretenden Erscheinungen
In individuellen Entwicklungen mögen bereits in dieser Phase verbale Kommentare der Kinder zu ihren Bildern erscheinen, welche sich entweder auf das Graphische selbst oder auf Verhältnisse zu Nicht-Graphischem, insbesondere auf vorgegebene Analogiebildungen, beziehen. Gemäss der Querschnittstudie sind sie aber erst in der nachfolgenden Phase häufiger zu beobachten, weshalb sie auch erst im nächsten Abschnitt einzeln erläutert werden.
Übergang zweites zu drittes Lebensjahr (früheste Erscheinungen gemäss Querschnittstudie Monate 19 bis 23)
Bereich des Graphischen: Offene geführte Linien – Erste Schliessungen der Linie – Andeutungen von Zusammensetzungen – Variationen von Formattributen – Anordnungen von Formen zueinander – Spezifische Anordnung von Formen zur Zeichenfläche – Farbigkeit – Materialität
Im Zentrum der dritten Phase, etwa mit zwei Jahren, steht die aufkommende Schliessung der Linie sowie eine markante Ausdifferenzierung der Anordnungen von Formen. Daneben erscheinen weitere Arten von offenen geführten Linien, von angedeuteten Zusammensetzungen, von Variationen von Formattributen sowie von Farbigkeit und Materialität.
Zu den fünf bereits entwickelten offenen Formen mit einer Führung der Linie selbst erscheint neu die Gerade. Wenn auch in der vorliegenden Studie nicht konkret untersucht, so ist dennoch auch eine Ausprägung des Punktes zu erwarten.
Die ersten auftretenden Schliessungen der Linie treten als unspezifische geschlossene Formen auf.Mehrfache Überkreuzungen von offenen geführten Linien, manchmal Verbindungen mit einbeziehend, lassen vage Gebilde erscheinen, als weitere Andeutung eines Zusammensetzungscharakters.
Die Variationen von Formattributen werden auch im Laufe dieser Phase erweitert, und es treten differenzierende Ausrichtungen in Abbildern von Bewegungsformen auf, beispielsweise Abbilder von gerade gerichteten Pendelbewegungen oder Abbilder von auf einen Radius hin ausgerichteten kreisenden Bewegungen. Hinzu kommen andere, nicht einzeln kategorisierte Variationen von Formattributen.
Die Ausdifferenzierung der Anordnungen von Formen zueinander führt zu vier neuen Arten: Überschneiden, Nebeneinander, Reihenbildung sowie Parallele Anordnung.
Parallel zu dieser Ausdifferenzierung der Anordnungen von Formen zueinander erscheint auch ihre Spezifische Anordnung zur Zeichenfläche, als erkennbare Bezüge zu Form, Gliederung, Rändern oder Ecken der Zeichenfläche.
Als weiterer Aspekt der Farbigkeit erscheint die Malerische Behandlung grösserer Bildteile oder aber des ganzen Bildes.
Als weitere Aspekte der Materialität können gemäss Längsschnittstudien die Flächendeckung durch Stifte sowie andere, nicht einzeln kategorisierte Aspekte der Materialität beobachtet werden.
In dieser Phase sind zudem die ersten vagen Andeutungen einer übergordneten, das Graphische selbst betreffenden gesamten Wirkung des Bildes zu beobachten, als Vorformen formaler Durchführungen.
Bereich der Verhältnisse zu Nicht-Graphischem: Kommentare, welche sich auf das Graphische selbst beziehen – Kommentare, welche auf Analogiebildungen, auf Darstellungen hinweisen – Erste Typen von Analogem
Gegen Ende des zweiten Lebensjahres beginnen sich die Kommentare der Kinder zu ihren Bildern zu häufen. Diese verbalen Äusserungen beziehen sich entweder auf das Graphische selbst und bezeichnen oder kommentieren einzelne Bildmerkmale oder Bildteile als solche, oder sie erläutern, was die Bilder abbilden sollen, zu was sie sich analog verhalten, zu was sie im weitesten Sinne «ähnlich» sind. Dabei werden verschiedene Typen von Analogem unterschieden.
Bezeichnung und Kommentierung des Graphischen selbst erscheinen in der vorliegenden Untersuchung eher selten, sind in der Regel aber nachvollziehbar. Die Kinder beginnen also, sich in verständlicher Weise verbal zum Graphischen zu äussern.
Die ersten Kommentierungen der Bilder als Darstellungen oder Abbildungen, als Analogiebildungen, als «Ähnlichkeiten» sind für Erwachsene anhand der Bilder meist nicht nachvollziehbar. (In der Literatur werden solche nicht nachvollziehbaren Erläuterungen zu den Bildern denn auch häufig mit dem Ausdruck «beigefügte Bedeutung» bezeichnet.) Allenfalls geben die Bilder Anlass zu Vermutungen, worin denn im Einzelnen eine Analogiebildung bestehen könnte. Innerhalb kurzer Zeit aber können die verbal geäusserten Analogiebildungen im Anschauen der Bilder selbst nachvollzogen werden. Die Kinder beginnen also, graphische Eigenschaften konkret in eine Beziehung mit Eigenschaften von Nicht-Graphischem zu setzen. Ein Teil dieser Entsprechungen mag von den Kindern erst im Nachhinein interpretiert werden, indem sie erkennen, dass einzelne graphische Eigenschaften parallel gesetzt werden können zu einzelnen nicht-graphischen Eigenschaften. So kann das Abbild einer mit rotem Stift erzeugten kreisenden Bewegung im Nachhinein als «rote Sonne» bezeichnet werden, weil Farbe und runde Form von Graphischem einerseits und Realem oder Vorgestelltem andererseits sich entsprechen. Ein anderer Teil der zu beobachtenden Analogiebildungen deutet hingegen auf eine Darstellungsabsicht während oder schon vor dem graphischen Akt hin, insbesondere dann, wenn ähnliche Entsprechungen mehrmals in einem Bild oder aber in verschiedenen Bildern vorgefunden werden können. Hingegen finden sich in dieser Phase noch keine Bilder, deren Darstellungsabsicht sich auch ohne verbale Äusserung erkennen lassen würde.
Die verbal geäusserten Analogiebildungen, ob visuell nachvollziehbar oder nicht, betreffen verschiedene frühe Typen von Dargestelltem: Tiere, Sonne, Aktionen, Abläufe, Ereignisse sowie andere, nicht einzeln kategorisierte Analogiebildungen. – Aus dem Vergleich der Längsschnittstudien lässt sich aber vermuten, dass das Auftreten und die Ausdifferenzierung von Typen von Analogem äusserst individuell sind. Die hier übernommene Zuordnung solcher Typen aus der Querschnittstudie ist deshalb mit Vorbehalt aufzunehmen.
Drittes und viertes Lebensjahr (früheste Erscheinungen gemäss Querschnittstudie Monate 24 bis 36)
Bereich des Graphischen: Geschlossene Formen – Ausgeprägte Zuammensetzungen – Anordnungen von Formen zueinander – Farbigkeit – Materialität – Formale Durchführung
Während des dritten und in der ersten Hälfte des vierten Lebensjahres treten ausgeprägte Geschlossene Formen und Zusammensetzungen auf, welche sich fortlaufend ausdifferenzieren. Parallel dazu werden Anordnungen von Formen zueinander sowie Aspekte der Farbigkeit und der Materialität erweitert. Parallel zur gesamten Entwicklung lässt sich das Aufkommen eines den Einzelmerkmalen übergeordneten graphischen Gesamtsinns beobachten, der die ganze Bildfläche betrifft und der hier Formale Durchführung genannt wird.
Als spezifische geschlossene Formen treten zuerst nicht einzeln kategorisierte Arten der Schliessung auf, gefolgt von einer Gruppe quasi-geometrischer Formen: Oval, Kreis, Trapez, Rechteck, Dreieck und Vieleck.
Als ausgeprägte Zusammensetzungen erscheinen Ausformulierte Gebilde, Kombinationen und Komplexe, Vorformen und Ausformulierungen von Strukturen, Ausformulierte Muster und Mandalas (konzentrische Muster) sowie andere, nicht einzeln kategorisierte Zusammensetzungen. Gemäss Längsschnittstudien treten in dieser Phase auch erste Geometrische Gliederungen von Formen auf, wie beispielsweise Radien in runden Formen oder Diagonalen in Rechtecken. Allerdings sind in der vorliegenden Untersuchung solche Gliederungen im dritten Lebensjahr eher selten vorzufinden.
Die Anordnungen von Formen zueinander erweitern sich, und aneinander oder ineinander gezeichnete Formen, Anpassungen von Formteilen, konzentrische Anordnungen, erste Spiegelsymmetrien sowie Proportionen, das heisst in der Grösse gegenseitig abgestimmte Formen, sind zu beobachten.
Als weiterer Aspekt der Farbigkeit erscheinen Farbverhältnisse (wenige dokumentierte Beispiele), ausgemalte umschriebene Flächen sowie andere, nicht einzeln kategorisierte Aspekte der Farbigkeit (wenige dokumentierte Beispiele).
Gemäss Längsschnittstudien differenzieren sich auch die Aspekte der Materialität weiter aus, und es erscheinen die Variation der Strichbreite bei Stiften, die Perforation (wenige dokumentierte Beispiele) sowie andere, nicht einzeln kategorisierte Aspekte der Materialität von Stiften und Pinseln.
Eine gewichtige Erscheinung dieses vierten Zeitabschnitts stellt das Auftreten von Bildern mit einem graphischen Gesamtsinn dar: In diesen Bildern beziehen sich einzelne Formen, ihre Zusammensetzungen, Variationen von Formeigenschaften, Anordnungen, Erscheinungen der Farbe und des Materials nicht mehr nur lokal, innerhalb eines bestimmten Bildbereichs aufeinander, sondern sie werden hinsichtlich der Bildfläche als Ganzen einer übergeordneten, das Graphische selbst betreffenden Gesamtwirkung des Bildes unterworfen.
Bereich der Verhältnisse zu Nicht-Graphischem: Nur anhand der Bilder selbst visuell erkennbare Analogiebildungen – Typen von Analogem – Allgemeine Darstellung der Schrift, vereinzelt auch erste Schriftzeichen – Analoge Anordnungen – Analoge Farbigkeit – Index
Die Verhältnisse zu Nicht-Graphischem in der vierten Phase der Entwicklung sind gekennzeichnet durch das Auftreten rein visuell erkennbarer Analogiebildungen, durch die Erweiterung der Typen von Analogem, durch die aufkommende Bezugnahme zur Schrift sowie durch das Auftreten von analogen Anordnungen und einem ersten analogen Einsatz der Farbe. Hinzu kommen indexikalische Bilder.
Während des dritten Lebensjahres werden Analogiebildungen beziehungsweise Abbildungen zunehmend direkt erkennbar, nur auf Grund der Betrachtung der jeweiligen Bilder selbst und ohne zusätzliche Kommentare beiziehen zu müssen.
Parallel dazu erweitern sich die Typen von Analogem. Zu den oben bereits erwähnten Typen kommen neu hinzu: Menschen, Pflanzen, Gebäude und andere Bauwerke. – Wie oben bereits erwähnt, lässt sich aus dem Vergleich der Längsschnittstudien aber vermuten, dass Auftreten und Ausdifferenzierung von Typen von Analogem äusserst individuell sind und dass die hier übernommene Zuordnung solcher Typen aus der Querschnittstudie deshalb mit grossem Vorbehalt aufzunehmen ist. – In bestimmten Entwicklungsverläufen einzelner Kinder stehen Darstellungen des Menschen im Zentrum der frühesten, direkt visuell erkennbaren Analogiebildungen. Zu solchen Darstellungen gehört ein Schema, welches in der Literatur häufig als «Kopffüsslerschema» bezeichnet wird (vgl. dazu die Erläuterungen in Kapitel 1-2-02).
Als erste Bezugnahme auf die Schrift erscheint in dieser Phase ihre allgemeine Darstellung, häufig in der Form von Zickzack- oder Wellenlinien, manchmal quasi-parallel zueinander angeordnet. Allerdings ist zu bedenken, dass diese Feststellung sich auf entsprechende Kommentare bezieht und dass in der vorliegenden Untersuchung Andeutungen solcher allgemeiner Darstellungen schon zu Beginn der dritten Phase beobachtet werden können. Die Längsschnittstudien verweisen zudem darauf, dass bereits in dieser vierten Phase erste Buchstaben und Andeutungen von Wörtern beobachtet werden können, zusammen mit den frühesten visuell erkennbaren Analogiebildungen (vgl. dazu die Längsschnittstudie des Knaben 003).
Neu erscheinen Anordnungen von Formen zueinander, welche sich auf Analoges beziehen, auf die Beziehung abgebildeter Teile untereinander oder auf die räumliche Orientierung des Abgebildeten. Graphische Anordnungen können derart analog motiviert sein.
Entsprechendes gilt für die Farbgebung. Zum einen können verschiedene Farben im Sinne eines analog motivierten Farbwechsels in Beziehung zu unterschiedlichen Teilen des Abgebildeten stehen, ohne dass aber die Farben im Bild den Farben des Abgebildeten gleichen. Zum anderen können Farben im Bild direkt in Beziehung gesetzt werden zu den Farben des Abgebildeten, als analog motivierte Farbzuordnung.
In dieser Phase treten auch indexikalische Bilder auf, meistens als Abdrücke oder Umfahrungen von Fingern oder ganzen Handflächen. Allerdings finden sich die ersten Beispiele solcher Indices bereits in der Phase 3.
Zweite Hälfte viertes sowie fünftes Lebensjahr (früheste Erscheinungen gemäss Querschnittstudie ab Monat 37)
Bereich des Graphischen: Geschlossene Formen – Anordnungen von Formen zueinander – Farbigkeit
In dieser letzten beschrieben Phase erscheinen die letzten Aspekte der geschlossenen Einzelformen, der Anordnung von Formen zueinander sowie der Farbigkeit.
Der Bereich des Graphischen erfährt in dieser letzten untersuchten Phase nur wenige Erweiterungen: Das Quadrat erscheint als letzte geschlossene Einzelform, Aussparungen erscheinen als letzte Anordnung von Formen zueinander sowie Farbmischungen als letzter Aspekt der Farbigkeit (wenige dokumentierte Beispiele).
Bereich der Verhältnisse zu Nicht-Graphischem: Entwicklung der Schrift – Analoge Anordnungen – Analoges Bildschema – Codierte Bildzeichen – Expression – Impression des Graphischen
Im Zentrum der fünften Phase stehen die aufkommende Differenzierung von Buchstaben, Zahlen und Wörtern sowie das aufkommende analog motivierte Bildschema. Hinzu kommen kulturell codierte Bildzeichen (in der vorliegenden Untersuchung zur Symbolischen Bezeichnung des Nicht-Graphischen gezählt), Erscheinungen der Expression sowie der Impression des Graphischen. (Die zeitliche Zuordnung dieser letztgenannten Aspekte ist aber auf Grund der wenigen vorgefundenen Bildbeispiele nicht zuverlässig.)
Im Verlaufe der Phase häufen sich Beispiele für erkennbare Buchstaben und Zahlen, gefolgt von erkennbaren Wörtern. In einigen Entwicklungsverläufen lassen sich zusätzlich satz- und formelartige Konfigurationen sowie vereinzelt auch andere Erscheinungen im Umfeld der Schrift oder der Notation beobachten.
Parallel dazu erweitert sich die analog motivierte Anordnung um die Anordnung von Buchstaben und Zahlen gemäss Regeln der Schrift. – In Bezug auf die Längsschnittstudien sind zudem auch andere Arten analog motivierter Anordnungen als die beschriebenen zu beobachten, wie beispielsweise Klappungen oder Aufsichten.
Im Verlaufe der Phase erscheint, als zweiter gewichtiger Aspekt neben der Ausdifferenzierung der Schrift, ein den einzelnen Merkmalen übergeordneter analoger Gesamtsinn, der die ganze Bildfläche betrifft: In den entsprechenden Zeichnungen und Malereien finden sich hauptsächlich Analogiebildungen, welche sowohl die Beziehungen des Analogen untereinander wie auch dessen Orientierung im Raum abbilden und dabei die Blattkanten zur Bezeichnung von oben und unten nutzen. Eine solche hauptsächliche oder durchgängige analoge Organisation des Bildes wird hier Analoges Bildschema genannt. – Es ist allerdings zu beachten, dass es nicht nur einen, sondern mehrere verschiedene Typen von analog motivierten Organisationen des Bildes gibt, auch wenn sie in der vorliegenden Studie nicht ausdifferenziert erscheinen. (Bildbeispiele für Typen, welche nicht durchgängig nach unten und oben ausgerichtet sind, finden sich als Zuordnungen zur Kategorie Andere Aspekte von Analogien.)
In dieser Phase können Bildzeichen auftreten, welche nur innerhalb einer Konvention im engeren Sinne verstanden werden, wie beispielsweise Kreuze auf Kirchen, Friedenszeichen oder Fahnen, welche Länder symbolisieren (wenige dokumentierte Beispiele).
Vereinzelt finden sich auch Bilder, welche als Expressionen interpretiert werden können, als in direkter Verbindung mit bestimmten psychischen Gefühlslagen stehend. Entsprechendes gilt für Impressionen des Graphischen, als unter dem Einfluss der Bildwirkung selbst stehend, welche über die Ausdifferenzierung graphischer Merkmale hinausgeht. In der vorliegenden Studie sind allerdings nicht genügend Beispiele dokumentiert, um aus ihnen verlässliche allgemeine Feststellungen abzuleiten.
Auf Grund der zu kleinen Anzahl von vorgefundenen Bildbeispielen lässt die vorliegende Untersuchung keine Aussagen zu möglichen Aspekten einer analog motivierten Materialität zu. Eine Ausdifferenzierung solcher Aspekte ist aber in einzelnen Entwicklungsverläufen zu erwarten.
Die hier beschriebene Entwicklung ist grundsätzlich nicht als lineare aufzufassen – in dem Sinne, dass früh entwickelte Erscheinungen durch spätere solche abgelöst würden –, sondern als eine sich fortlaufend erweiternde bildhafte Struktur.